Streit um urheberrechtlichen Schutz des USM Haller Regals – Werkeigenschaft des Designklassikers?
Funktionalität, Stil und Klasse vereinend vermag die Beliebtheit der zeitlosen „USM Haller“ Möbelbausysteme als geschmackvolle Zierde von Chefetagen, Arztpraxen, Kanzleien und Privaträumen kaum zu verwundern.
Mit Entwurf im Jahr 1963 durch Fritz Haller trat das Haller-System seinen Siegeszug an, konzeptuell ausgezeichnet durch die charakteristischen hochglanzverchromten Stahlrundrohre.
Doch die schlichte Eleganz hat ihren Preis: Die Kosten für ein schmuckes Regal liegen im vierstelligen Bereich.
Wer nicht so tief in die Tasche greifen möchte, kann auf kostengünstigere Repliken anderer Anbieter zurückgreifen, die dem ikonischen Original weitgehend ähneln. Das Nürnberger Unternehmen Konektra etwa bietet neben Erweiterungszubehör und Ersatzteilen auch einen Montageservice über seinen Online-Shop an. Kunden und Kundinnen können sich ihr konfiguriertes Regal reibungslos direkt in den eigenen vier Wänden aufbauen lassen.
Seit 2019 versucht USM gerichtlich, seinem Konkurrenten Konektra einen Riegel vorzuschieben. USM ist der Ansicht, bei dem Haller Möbelsystem handle es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst.
Während das Landgericht Düsseldorf der Klage aus Urheberrecht weitgehend stattgegeben hatte (Urteil vom 14. Juli 2020 – 14c O 57/19), wollte die Berufungsinstanz das USM Möbelsystem nicht als ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst gem. §2 I Nr. 4 UrhG erkennen (Urteil vom 2. Juni 2022 – 20 U 259/20). Für den Urheberrechtsschutz sind bei Gebrauchsgegenständen strengere Anforderungen an die freie kreative Entscheidung des Schöpfers zu stellen als bei anderen Werkarten, so das Berufungsgericht. Das Verhältnis von Urheber- und Designrecht fordere, dass der Urheberrechtsschutz für Gebrauchsgegenstände die Ausnahme bleibe.
Gegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf hatten beide Parteien Revision eingelegt; nun entscheidet der für Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die Schutzfähigkeit des USM Haller Möbelbausystems.
Was macht ein Werk im Sinne des Urheberrechts aus?
Dreh- und Angelpunkt des Streits ist die Frage, ob es sich bei dem USM Möbelsystem um ein urheberrechtsfähiges Werk der angewandten Kunst gem. §2 I Nr. 4 UrhG handelt.
Für die Einstufung als Werk der angewandten Kunst hat der betreffende Gegenstand zwei Voraussetzungen zu erfüllen.
Zum einen muss es sich um ein Original im Sinne einer eigenen kreativen Schöpfung handeln, das die Persönlichkeit des Schöpfers widerspiegelt. Mit anderen Worten: Der Gegenstand muss objektiv eine Wirkung entfalten, die über die bloße Wahrnehmung hinausgeht. Diese Wirkung wird dann erzielt, wenn die Gestaltung der Gegenstände nicht nur durch ihre Funktion bestimmt ist bereits bekannte Formen wiederholt.
Zum anderen muss das Werk hinreichend konkret und objektiv identifizierbar sind. Eine kreative, aber rein geistig gebliebene Idee etwa, die sich nicht physisch manifestiert hat, ist nicht schutzfähig.
OLG Düsseldorf hat Ausübung künstlerischer Freiheit verneint
Die fünf einzelnen Gestaltungsmerkmale des Möbelbausystems sind nicht von freien kreativen Entscheidungen bestimmt, so das OLG. Die prägenden Gestaltungsmerkmale des Möbelbausystems beruhen entweder auf bekannten Formen oder waren von technischen Erwägungen geleitet. Weder die modulare Korpus-, noch die Raumgitterstruktur (optisch hervorgerufen durch die prägnanten Stahlrohre) war dem OLG zufolge zum Schöpfungszeitpunkt neu; Baukastenprinzip und hochglanzverchromte Stahlrohre als sichtbares Tragegerüst wiesen auch zuvor bekannte Möbelsysteme anderer Designer auf.
Das OLG gestand der Klägerin zwar zu, dass es sich bei der Verwendung kugelförmiger Verbindungselemente mit sechs Gewindebohrungen zum Zeitpunkt der Schaffung des Möbelsystems um eine Neuheit im Möbelbau handelte. Eine kreative Entscheidung wollte das OLG darin trotzdem nicht erkennen. Die Verbindungselemente wurden dem Gericht zufolge aus dem technischen Bedürfnis heraus entwickelt, das Rohrgestell schnell und unkompliziert verändern zu können. Visuelle Erwägungen konnte die Klägerin nicht hinreichend darlegen, zumal die Schöpfer selbst in ihren Äußerungen die technische Funktion in den Vordergrund gestellt hatten. Auch das unmittelbare Aufeinanderstoßen von Rohren und Verbindungsstücken habe lediglich Stabilitätsgründe. Hinsichtlich der bündig mit dem Stahlrohr-Tragwerk abschließenden Füllflächen, der sog. „Tablare“, stellte das OLG fest, die Schöpfer selbst hätten die konkrete Ausführung als technisch bedingt eingestuft.
Eine andere Bewertung lasse auch der – vom OLG „uneingeschränkt nachempfundene“ – ästhetische Gesamteindruck des Möbelsystems nicht zu. Es dürfe nicht automatisch von der ästhetisch ansprechenden Gestaltung auf die Werkseigenschaft geschlossen werden. Der Rechtsprechung des EuGH folgend legt das OLG ein enges Begriffsverständnis zugrunde, wonach Ästhetik sich nur nach subjektiven Schönheitsempfinden bemisst. Bei der Frage der Urheberrechtsfähigkeit darf allerdings im Interesse der Rechtssicherheit nicht allein auf eine subjektive Bewertung abgestellt werden.
Auch die Aufnahme des Möbelsystems in Museumssammlungen (1980: Neue Sammlung des Staatlichen Museums für angewandte Kunst in München; 2001: permanente Sammlung des Museum of Modern Art in New York) vermag dem OLG zufolge die Werkseigenschaft nicht zu begründen. Für die museale Aufnahme sei nur die subjektiv empfundene Ästhetik entscheidend gewesen.
BGH legt dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor
Bei der Prüfung der Werkseigenschaft des USM Haller Möbelbausystems ist ein unionsrechtlicher Maßstab anzulegen, so der zuständige Zivilsenat.
Bislang wurde das Urheberrecht auf EU-Ebene nur teilweise durch verschiedene Richtlinien harmonisiert. Welche Kriterien abschließend im Einzelnen für das urheberrechtlich geschützte Werk gelten, definiert keine dieser Richtlinien ausdrücklich. Der „europäische Werkbegriff“ beruht somit auf EuGH-Rechtsprechung. Nationale Gerichte können den EuGH dann angerufen, wenn es um die Auslegung europäischer Vorgaben geht.
Für die Beurteilung, ob das Berufungsgericht die Originalität als Merkmal eines urheberrechtlich geschützten Werkes rechtsfehlerfrei abgelehnt hat, kommt dem Senat zufolge im Wesentlichen auf drei zentrale Fragen an. Diese hat er dem EuGH nun zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 21. Dezember 2023, Az. I ZR 96/22).
Der Senat äußerte Zweifel daran, ob – wie von der Berufungsinstanz in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH angenommen – ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Geschmacksmuster- und Urheberrecht besteht. Davon hängt ab, ob bei Gebrauchsgegenständen tatsächlich höhere Anforderungen an die eigene geistige Schöpfung gestellt werden müssen, als bei anderen Gegenständen.
Klärungsbedürftig sei auch, ob der Schöpfer freie kreative Entscheidungen bewusst treffen muss. Nach Ansicht des Senats soll es entgegen der Auffassung des OLG Düsseldorf auf das subjektive Bewusstsein gestalterischen Spielraums bei der Prüfung der Originalität gerade nicht ankommen.
Die dritte Vorlagefrage betrifft Umstände, die nach der Entstehung des Gegenstandes eingetreten sind und bei der Beurteilung der Originalität möglicherweise zu berücksichtigen sind. Hat die Aufnahme des Gegenstands in Kunstausstellungen bzw. Museen Einfluss auf die Werkseigenschaft oder jedenfalls Indizwirkung für die Schutzfähigkeit des Werks?
Wie es weitergeht
Das USM Haller – bekannt, beliebt, aber auch Kunst? Das hängt entscheidend davon ab, wie der EuGH den Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes weiter konkretisieren. Bis zu einer Entscheidung der Luxemburger RichterInnen hat der BGH das Verfahren ausgesetzt. Sollte das OLG Düsseldorf zu hohe Anforderungen an den Werksbegriff gestellt haben, müsste das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung des Urheberschutzes des Möbelbausystems an das Berufungsgericht zurückverweisen werden.
(Rahel Roloff)